"Der Ursprung der Welt." Erotische Liebe oder Pornographie?


Liebe beschäftigt sich einerseits mit den emotionalen und psychologischen Aspekten der Liebe, andererseits auch mit biologisch-physiologischen Vorgängen der Prokreation.[1] Es kann sich also von der Liebe zu Gott bis hin zum geschlechtlichen Akt aus purer Lust oder zur Fortpflanzung, erstrecken. Im Vordergrund von Gustave Courbets‘ Werk „Der Ursprung der Welt“ (Abb.1) aus dem Jahr 1866 steht die erotische Liebe und die reine sexuelle Begierde.[2] Jedoch wurde das Werk nicht prinzipiell mit Lust im Sinne der erotischen Liebe verbunden, sondern auch als Pornographie erklärt.[3]
Abb. 1: Gustave Courbet, Der Ursprung der Welt, 1866, Öl/Lwd.,
46x55cm, Musée d‘Orsay, Paris. (Scan aus: Günter Metken:
Gustave Courbet. Der Ursprung der Welt-Ein Luststück,
München 1997, S. 9.).


Der Pornographievorwurf soll zwar nicht ignoriert werden, jedoch steht die Frage, in wie weit es sich um ein Thema der erotischen Liebe handelt, im Vordergrund.
Begonnen wird mit einer kurzen Bildbeschreibung. Darauf folgt eine zeitliche Entwicklung über Verführung und Nacktheit im gesellschaftlichen und künstlerischen Kontext. Danach wird kurz auf den Auftraggeber und die Frage nach dem Modell eingegangen. Beendet wird der Beitrag mit Vergleichswerken, die sich auf den „Ursprung der Welt“ beziehen.

Das Werk „Der Ursprung der Welt“ erscheint durch Komposition und technische Ausführung äußerst realistisch. Es beschränkt sich auf die Nahansicht einer dunkel behaarten Vagina, die durch die gespreizten Oberschenkel einer liegenden Frau zum Vorschein kommt. Auch die rechte Brust, ihr Bauch und die Oberschenkel sind abgebildet. Jedoch werden die Oberschenkel vom Bildrand abgeschnitten. Der Akt liegt auf einem weißen, seidigen Tuch, welches ihre linke Brust noch verhüllt. Kopf, Arme und der Rest der Beine sind nicht abgebildet. Der Hintergrund wurde mit brauner Farbe ausgefüllt und tritt in starken Kontrast zu dem hellen Inkarnat des Aktes.[4]
Das Verhältnis von Liebe und Verführung wird erst in der frühen Neuzeit als Konsequenz eines Liebeserlebnisses denkbar. Zuvor stand der Verführungsbegriff im Zusammenhang mit der moraltheologischen Liebe, im Sinne der christlichen Konzeption von ehelicher Liebe.[5] In den antiken und religiösen Stoffen wurde die reine Verführung dabei immer gefährlich und als Frau dargestellt. Der Verführungscharakter der bösen Verführerin, welcher durch Eva provoziert wurde, rückt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Hintergrund. Im 18. Jahrhundert hat man die dämonischen Verführungswerke zwar nicht vergessen, doch gilt es trotzdem als Jahrhundert der Erotik und Pornographie bzw. freizügigen Sexualität.[6] Erstmals gab es Ansätze einer Sexualwissenschaft und medizinische bzw. wissenschaftliche Vorstellung, vor allem gegenüber dem weiblichen Körper.

Die körperliche Liebe scheint damit die Berechtigung erhalten zu haben eine zwischenmenschliche Liebe zu sein und darf als Liebesemotion gelten. Jedoch bezieht sich diese Sexualität nur auf Personen, die auch in einer emotionalen Beziehung zueinanderstehen. Physische Liebe wurde daher auf verschiedenen Ebenen in den Jahrhunderten diskutiert.[7]


Abb. 2: Jacques Louis David, Mars entwaffnet durch Venus und
die drei Grazien, 1824, Öl auf Leinwand, 308x262cm, Musées
royaux des beaux-arts de Belgique, Brüssel.
(Scan aus: Philippe Bordes : Jacques-Louis David. Empire to
Exile, Williamstown, 2005, S. 190.).


In der Kunst der Renaissance waren Akte oder erotische Darstellungen durchaus ‚normal‘. Während des Klassizismus entwickelte sich grundsätzlich eine gewisse Geheimnistuerei um die Genitalien.[8] Deutlich wird dies bei Jacques Louis Davids‘ „Mars entwaffnet durch Venus“ (Abb.2), wo Venus, Amor sowie die drei Grazien das Waffengut von Mars entwenden. Bei keiner der dargestellten Figuren kann man das Geschlechtsteil erblicken. So versuchte man, sich der Sittenlosigkeit des Ancien Regimes zu wiedersetzen. Dadurch wurde das Verhältnis der Geschlechter zu einer prüden Grundhaltung. Nacktheit galt nun als unzüchtig. Weibliche Beine wurden immer geschlossen gezeigt. Sie dienten eher zur Anregung der Fantasie und wurden zu einer Art Geheimnis.[9] Allein die Imagination geöffneter Beine war empörend, weshalb der weibliche Unterleib kaum existierte. Seitdem teilte man zwischen Idealität und Pornographie. Daher galt das Werk „Der Ursprung der Welt“ als schockierend und löste Irritation über die Frage nach dem Schamgefühl aus.[10]

Jedoch bezieht sich das Werk nicht auf ein mythologisches oder religiöses Thema. Schließlich verlor, im Allgemeinen, der Akt erst im 19. Jahrhundert endgültig seine mythologischen, heroischen oder religiösen Inhalte. Der Akt benötigte nun kein konkretes Thema mehr und konnte autark dargestellt werden.  Immer mehr verlor auch die Idealität ihre Bedeutung zugunsten der Realität. Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Geschichte der modernen Sexualität. Das romantische Liebeskonzept löste sich auf und die Verführung wurde zu etwas Alltäglichem.[11]

Abb. 3: Gustave Courbet, Die Schläferinnen, 1866, Öl auf Leinwand, 135 x
200 cm, Musée du Petit Palais, Paris. © Petit Palais / Roger-Viollet.

Diese neue Realität machte sich Courbet zu nutze. Er galt als absoluter Realist mit diffiziler Beobachtungsgabe, was er bei seinem Werk „Der Ursprung der Welt“ unter Beweis stellte. Er lehnte die akademische Malerei mit ihren glatten, idealisierten Akten ab und setzte sich mit seinen realen Aktstudien intensiv auseinander. Seine Werke waren perfekt und äußerst sorgfältig ausgeführt, weshalb sie seiner Zeit als anstößig galten. Schließlich bevorzugte er erotische Themen, die immer Skandale und Kontroversen zur Folge hatten.[12] Bei „Die Schläferinnen“ (Abb.3) zeigt Courbet zwei Frauen in einer Liebesszene. Schon hier provozierte Courbet durch die Darstellung zweier nackter Frauen, die sich aneinanderschmiegen.[13] Die Haltung der beiden Frauen, die zerwühlten Bettlacken lassen annehmen, dass es sich um einen Sexualakt zwischen den beiden handelt. Dementsprechend sollte „Der Ursprung der Welt“ genauso anstößig werden. Courbet erweist sich als Kenner weiblicher Anatomie, welche er bis ins letzte Detail abbildete.


Das Werk „Der Ursprung der Welt“ war eine Auftragsarbeit des Kunstsammlers Halil Serif Pasa alias Khalil Bey. Er hatte sich eine beachtliche Sammlung mit erotischer Kunst zugelegt, darunter, unter anderem, „Die Schläferinnen“ und „Der Ursprung der Welt“.[14]

Bis 1995 galt „Der Ursprung der Welt“ als verschollen.[15] Ursprünglich war das Werk allein als ein privates Genussmittel gedacht. Durch einen Vorhang wurde das Bild der öffentlichen Betrachtung entzogen und erinnert damit an ein erotisches Andachtsbild. Khalil Bey führte diese Verdeckung des Gemäldes durch einen Vorhang ein. Nur ausgewählte Gäste durften einen Blick hinter den Vorhang werfen. Nach verschiedenen Stationen gelangte das Werk 1955 an den Psychoanalytiker Francois Lacan, der das Werk ebenfalls durch eine Holzpaneele von André Masson (Abb.4) versteckte. So zeichnete André Masson auf braunem Grund die Umrisse des Körpers nach, jedoch nichts darstellend. Vielmehr wird diese Darstellung zu einer Art Landschaft. Diese Paneele diente als Verdeck für das eigentliche Gemälde von Courbet.[16]
Demnach dienten Vorhang bzw. das Verdeck als eine Art Entkleidung des Bildes und werden so Teil eines erotischen Spiels. Die Erotisierung bzw. Sexualisierung wurde durch den Vorhang keineswegs reduziert, sondern vielmehr gesteigert.[17]

Abb. 4: André Masson, Panneau-masque de L‘origine du
monde, 1955, Musée Gustave Courbet, Ornans. (Scan aus:
Günter Metken: Goustave Courbet. Der Ursprung der Welt-
Ein Luststück, München 1997, S. 11.).

Lacan versteckte das Werk bis zu seinem Tod vor der Öffentlichkeit. Nur gelegentlich ließ man durchblicken, dass dieses Werk durchaus existiert. Eine schwarz-weiß Fotographie erschien dabei erstmals in dem Buch ‚Die Erotik der Frau‘ von Gerard Zwang. 20 Jahre lang machte man Reproduktionen dieses Fotos, ohne zu wissen, wer das ursprüngliche Foto gemacht hatte, noch wo sich das Werk befindet. Man könnte dieses Versteckspiel als Lust an der Geheimniskrämerei deuten. Die Geheimhaltung und sprachliche Mystifizierung soll das Werk dabei noch interessanter erscheinen lassen.[18]

Wer nun wirklich als Modell für das Werk diente wurde lange diskutiert. Nach neuesten Forschungen wird der weibliche Unterleib der 34-jährigen Balletttänzerin Constance Querinaux zugeschrieben. Sie war die Geliebte des Auftraggebers Kahlil-Bey, wie Claude Schopp in seinem Buch „l’origine du monde. Vie du modèle“ anhand eines Briefes von Alexandre Dumas fils (an George Sand, 1871) aufdeckte.[19] Das Bild ist demnach der Zuspruch der erotischen Liebe zu der Geliebten des Auftraggebers. Dieser Bildausschnitt bezieht sich möglicherweise auf die reine ‚Funktion‘ einer Geliebten. So definiert sich schließlich die Geliebte als eine Frau oder Mann, die/der mit einer anderen Person eine sexuelle Beziehung hat. „Der Ursprung der Welt“ könnte demnach so interpretiert werden, dass dem Betrachter die natürlichen menschlichen Triebe vor Augen geführt werden sollen. Dadurch rückt die Sexualität durch die unverhüllte, fast anatomisch dargestellte Vulva in den Vordergrund und beschränkt sich auf das Wesentliche, auf den reinen Geschlechtsakt.

Der Titel „Der Ursprung der Welt“ deutet dabei eine gewisse Doppeldeutigkeit des weiblichen Geschlechts an. Es kann als Objekt der reinen Lust und sexuellen Begierde verstanden werden oder als Beginn eines neuen Lebens durch die Geburt. Der Titel stellt den weiblichen Unterleib als Ursprungsort jeden Lebens und allem Existierenden dar. Allerdings taucht der Titel „Der Ursprung der Welt“ erst im 20. Jahrhundert auf.[20] Unklar ist, ob Courbet überhaupt derjenige war, der das Werk so betitelte. Demnach könnte das Werk für Courbet auch als reines Luststück für den Auftraggeber gedient haben, ohne, dass er es als Geburt des Lebens interpretierte.

Das Weglassen des Gesichtes, wie es Courbet darstellt, wird vom Feminismus als Pornographie tituliert. Der weibliche Körper wird hier zum reinen Objekt der Begierde ohne jegliche Persönlichkeit, wenn man vom Titel des Werkes absieht. Einen Pendant zu „Der Ursprung der Welt“ schuf die feministische Künstlerin Orlan. Ihre Kunst setzt sich mit der Gesellschaft und deren Blick auf Frauenkörper oder Männlichkeitswahn auseinander.[21] So bezieht sich ihr Werk „l’origine de la Guerre“ auf den Ursprung des Krieges zwischen den Geschlechtern. Die Version von Orlan gibt die Farbe, das Format und selbst den gleichen Rahmen wie bei Courbet genau wieder mit dem Unterschied, dass es sich nicht um einen weiblichen Akt handelt, sondern um einen Mann, der seinen erigierten Penis präsentiert.

Von den Zeitgenossen, aufgrund der realistischen Darstellung der Vulva, und von Feministen, aufgrund des Weglassen des Gesichtes, als Pornographie abgestempelt, hebt der Titel „Der Ursprung der Welt“ die Frau bzw. den weiblichen Unterleib auf einen Podest. So kann man das Werk der reinen sexuellen Lust und erotischen Liebe sowie als den Entstehungsort eines neuen Lebens bzw. der Geburt alles Existierenden zuordnen.
Carolin Schmoranzer



[1] Rieger 2014, S. 331.

[2] Vigué 2001, S. 641.

[3] Hentschel 2002, S. 65.

[4] Metken 1997, S. 7-8.

[5] Vickermann-Ribémont 2014, S. 385.

[6] Ebd. S. 387-388.

[7] Rieger 2014, S. 331.

[8] Metken 1997, S. 13.

[9] Ebd.

[10] Ebd., S.13-14.

[11] Poeschel 2014, S. 120-132.

[12] Metken 1997, S. 27.

[13] Ebd. 1997, S. 18-20.

[14] Haskell 1990, S. 305-321.

[15] Hentschel 2002, S. 65.

[16] Metken 1997, S. 10-12.

[17] Hentschel 2002, S. 63-65.

[18] Twardowski 2016, S.14.

[19] Schopp 2014.

[20] Metken 1997, S. 54.

[21] Morineau 2016, S. 325-326.


Literatur:

Font-Réaulx, Dominique de: Gustave Courbet, New York, 2008.

Haskell, Francis: Ein Türke und seine Bilder im Paris des 19. Jahrhunderts, in: Haskell, Francis (Hrsg.): Wandel der Kunst in Stil und Geschmack. Ausgewählte Schriften, Köln, 1990, S. 305-321.

Hentschel, Linda: Pornotopische Techniken des Betrachtens-Gustave Courbets „L’origine du monde“ und der Penetrationskonflikt der Zentralperspektive, in: Härtel, Insa, Schade, Sigrid (Hrsg.): Körper und Repräsentation, Wiesbaden, 2002.

Metken, Günter: Gustave Courbet, der Ursprung der Welt. Ein Luststück, München, 1997.

Morineau, Camille: Orlan. Entblößter Körper, feilgebotener Körper, in: Schor, Gabriele (Hrsg.): Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er Jahre: Sammlung Verbund, Wien, München, 2016, S. 325-331.

Poeschel, Sabine: Starke Männer, schöne Frauen. Die Geschichte des Aktes, Darmstadt, 2014.

Rieger, Dietmar: Fleischeslust und Liebe Stationen literarischer Semantisierung der carnalis cupiditas vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert, in: Kirsten Dickhaut (Hrsg.): Liebessemantik. Frühneuzeitliche Darstellungen von Liebe in Italien und Frankreich, Wiesbaden, 2014, S. 331-285. 

Schopp, Claude: L’Origine du monde - Vie du modèle, 2014.

Twardowski, Daniel: Dark Planet. 200 Varianten zu Courbets Ursprung der Welt, 2016.

Vickermann-Ribémont, Gabriele: Liebe und Verführung, in: Dickhaut, Kirsten (Hrsg.): Liebessemantik. Frühneuzeitliche Darstellungen von Liebe in Italien und Frankreich, 2014, Wiesbaden, S. 385-425.

Vigué, Jordi (Hrsg.): 1000 Meisterwerke der Aktmalerei, München, 2001.