Abb. 1: Raffael: La Fornarina, 1518/20, Öl / Holz, 85,5 x 61,5 cm, Rom, Galleria Nazionale d‘Arte Antica. © gemeinfrei. |
Das Rätsel um die Identität der Dargestellten und generell um das Gemälde der „Fornarina“ (Abb. 1), welches in Raphaels Zeit in Rom um 1518 bzw. 1520 zu datieren ist, beschäftigt die Forschung schon seit langem.
Aber woher stammt eben dieses rege Interesse an dem Gemälde und der Person der Fornarina?
Schon Vasari deutete in seinen Viten an, dass Raffael den Frauen sehr zugetan war „Raffael war eine sehr sinnliche Person und den Frauen sehr zugetan, und er war ihnen stets zu Diensten. Das Fortführen und Ausleben des fleischlichen Vergnügens war der Grund dafür, dass er von seinen Freunden noch mehr – vielleicht mehr als angebracht – respektiert und geachtet wurde.“[1]
Darüber hinaus führte Vasari ebenfalls ein Porträt an: „Dann hat Marcantonio [Raimondi] für Raffael ein Reihe von Drucken angefertigt, die Raffael an seinen Gehilfen Baviera gab, der sich um eine seiner Frauen kümmerte, welche Raffael bis zu seinem Tod geliebt und von welcher er ein wunderschönes Porträt angefertigt hat, das lebendig erschien, dieses [Porträt] ist heute in Florenz bei dem gnädigen Matteo Botti […], von ihm aufbewahrt als Zeichen für die Liebe, die er der Kunst gab und vor allem an Raffael.“[2]
Dieses genannte Porträt wurde als die „Donna Velata“ (Abb. 2) von Raffael identifiziert. Durch die Ähnlichkeit der beiden Porträts werden sie auch als Pendants angesehen.[3]
Abb. 2: Raffael: La Donna Velata, ca. 1516, Öl / Holz, 85 x 64 cm, Florenz, Galleria Palatina, Palazzo Pitti. © gemeinfrei. |
Genau diese Wirren um den sonst so hochgelobten und tugendhaften Ausnahmekünstler der Renaissance, der einen sozialen Aufstieg vollführte, der durch die zwar nie vollzogene aber versprochene Ehe mit der Nichte des Kardinals Bibbiena, Maria Bibbiena, verdeutlicht wird und die Häufigkeit in der das Modell für Raffael scheinbar als Inspiration diente, führten wohl dazu, dass das Interesse an dem Bild der Fornarina noch gesteigert wurde.[6]
Der schlechten Quellenlage wird im Folgenden keine Beachtung geschenkt und der nicht vollends belegten These Glauben geschenkt, dass das Gemälde als Mätressenporträt anzusehen sei und Raffaels Geliebte darstellt. Ob sie nun als Margherita Luti zu identifizieren ist, sei an dieser Stelle erst einmal nicht von weiterem Belang. Viel mehr ist unter diesem Aspekt von Bedeutung, wie Raffael seine Liebe zu der Dargestellten auf dem Bildnis ausdrückt hat und welche Gemälde ihm als Inspiration gedient haben könnten.
Abb. 1: Raffael: La Fornarina, 1518/20, Öl / Holz,
85,5 x 61,5 cm, Rom, Galleria Nazionale d‘Arte
Antica. © gemeinfrei.
|
Das Porträt der Fornarina (Abb.1) zeigt eine sitzende junge Frau mit entblößtem Oberkörper, die den Betrachter ohne Scham und mit dem Anflug eines Lächelns anblickt. Sie erscheint im Ausschnitt bis zu den Knien, in freier Landschaft vor dem Hintergrund eines dichten Gebüsches aus Myrten und Quitten. Ihre dunklen von einem Mittelscheitel durchzogenen Haare werden von einem turbanartigen, blau-gold gestreiften Kopftuch hochgebunden. Unter diesem Kopftuch schaut ein feiner mit Blattstruktur versehener Haarreif hervor auf dem links ein Smaragd oder Saphir, ein Rubin und eine weiße, bläulich schimmernde Perle angebracht sind. Ihre rechte Hand zieht einen durchsichtigen Schleier über den Bauch bis zu ihren Brüsten hoch und zeigt dabei gleichzeitig einen Griff an ihre linke Brust. Der linke Arm ruht auf ihrem linken Oberschenkel und dem roten Untergewand, welches ihre Beine und ihr Gesäß bedeckt. Ihre linke Hand, an deren Ringfinger sie einen goldenen Ring mit einem Stein trägt, bedeckt ihre Scham. Der Ring wurde bei einer Restauration in den 80er Jahren unter einer Übermalung entdeckt und freigelegt.[7] Am linken Oberarm trägt sie außerdem einen blau emaillierten Goldreif mit der Aufschrift „RAPHAEL VRBINAS".
Die Bedeutsamkeit des Modells für Raffael wird nicht nur anhand des Gemäldes der Fornarina deutlich, sondern auch an der Häufigkeit, mit der sie auf anderen Gemälden Raffaels vorzufinden ist (z.B. auf: „Die Verzückung der Heiligen Cäcilia“ (1514), „Die Madonna mit dem Fisch“ (1514) oder auf der „Madonna della Seggiola“ (1514)).
Symbole für eine mögliche Liebe zum Modell des Bildnisses wurden an vielfacher Stelle auf dem Gemälde zum Ausdruck gebracht:
Allen voran ist da natürlich der Armreif mit der Signatur „Raphael Urbinas“ anzuführen. Dieser signalisiert eine besondere Beziehung zwischen Modell und Künstler – nach Ulrich Pfisterer steht dieser nicht nur für die Inspiration, die sie für viele seiner Kunstwerke gewesen ist und dass sie die Seine sei, sondern gleichzeitig auch seine Hingabe an seine Geliebte. Im Sinne vom Hohelied Kapitel 8, Vers 6 „Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm“.[8]
Die besondere Stellung und Wichtigkeit des Armreifes wird ebenfalls dadurch verdeutlicht, dass kein anderes Porträt Raffaels signiert ist und keine Signatur auf anderen Gemälden des Künstlers in der Bildfiktion motiviert ist.[9]
Als weiteres Symbol für die Zuneigung Raffaels gegenüber dem Modell steht der Ring an ihrer linken Hand: dieser Ring, der unter einer Übermalung entdeckt wurde, symbolisiert nicht nur die versteckte, vom Papst nicht gebilligte Liebe – Raffael war, wie schon genannt, der Nichte des Kardinals von Bibbiena versprochen – sondern unterstreicht als Symbol für die Ehe die Bedeutung die Raffael seiner Geliebten beigemessen haben muss.
Darüber hinaus steht die Perle am Haarreif für Schönheit und Reinheit. Der Hintergrund bestehend aus dichtem Gebüsch aus Quitten und Myrten steht ebenfalls für Schönheit, aber auch für Liebe und Fruchtbarkeit. Gleichzeitig sind diese aber auch als Attribute der Venus anzusehen.
Abb. 3: Kapitolinische
Venus, ca. 96–192 n.
Chr., Rom, Musei
|
Sabine Poeschel hebt darüber hinaus hervor, dass das Interesse an der Identität des Modells durch die Darstellung der Fornarina als dunkelhaarige Venus und ohne das für die Venus eigentlich typische goldblonde Haar und ihr unvollkommenes Erscheinungsbild, noch gesteigert worden ist.[11]
Ferner führt Poeschel die Verbindung und Ähnlichkeit zur Donna Velata an, die vor der Fornarina um 1516 entstanden ist an. Die Velata mit ihren idealisierteren Zügen werde als amor sacro und die Fornarina als amor profano angesehen. „Die Abweichungen von der Perfektion machen den wirklichkeitsnahen, irdischen Charakter der Figur aus, die folglich als historische Person angesehen wurde.“[12] Danach trennt sie ganz deutlich die Auslegung der Fornarina als Venus und die als Porträt.
Meines Erachtens muss man die Verbindung zwischen der Darbietung Raffaels Geliebter und der Auslegung als Venus pudica nicht zwangsläufig trennen: Hätte Raffael nicht gerade seiner Liebe und seinem Lustempfinden gegenüber der Fornarina Ausdruck verleihen können, indem er eine Darstellung als Venus wählt? Eben jener Göttin, die für Liebe, erotisches Verlangen und Schönheit steht. Er hebt die Liebe zur irdischen Frau mit dieser Art der Darstellung auf eine göttliche Ebene.
Pfisterer deutet den Griff an die Brust und das leichte Drücken dieser als Bezug zu der Milch der Musen, die den Künstlern als Inspirationsquelle gedient haben. Ähnliches schrieb Dante im Purgatorio seiner Divina Commedia, dort wurde Homer als jener beschrieben, der hauptsächlich von der Milch der Musen genährt worden ist.[13]
Demgemäß könnte man die Fornarina als Muse sowie Inspirationsquelle für Raffael deuten, die folglich nicht nur seine Geliebte und ein „einfaches“ Modell war.
Nach Poeschel ist der Griff an die Brust ein Griff zum Herzen. Als Vergleiche führt sie die Floradarstellungen von Tizian und Palma Vecchio (Abb. 4 und 5) an, auf denen der Griff an die Brust einen erotischen Charakter ausmache.[14] Wenn man diese These auf die Fornarina anwendet, unterstreicht es einmal mehr den Wert, den das Modell für Raffael hatte: sie war nicht nur Modell und Inspirationsquelle, sondern auch seine Geliebte, die offensichtlich eine erotische Ausstrahlung und Wirkung auf ihn hatte.
Abb. 4: Tizian: Flora, ca. 1515, Öl / Lwd., Florenz, Uffizien. © gemeinfrei. |
Abb. 5: Palma Vecchio: Flora, ca. 1520, Öl /Holz, London, National Gallery. © gemeinfrei. |
Als Zwischenfazit sei hier festzuhalten, dass durch fehlende Quellen, die Intention Raffaels nicht erschlossen werden kann. Jedoch zeigt die offenbare Vermischung der Darstellungstypen (wie Venus- oder Erotikdarstellung, sowie Porträt mit Musen- oder Floragestus), wie einzigartig das Porträt zu jener Zeit war. Dieses wird ebenfalls durch die vielen möglichen Theorien hervorgehoben, die im Laufe der Zeit durch die Forschung aufgestellt worden sind.
Nun bleibt noch die Frage zu klären, wo Raffael seine Inspiration für die Komposition und Darstellungsart dieses ohne Frage besonderen Porträts hergenommen hat, wo es doch zumindest bisher keine Kenntnis über ein weiteres monumentales Privat-Bildnis der Geliebten eines Renaissancemalers gibt.
Das verlorene Porträt der „Monna Vanna“ (Abb. 6), die die Geliebte von Giuliano de‘ Medici gewesen sein soll und die „Mona Lisa“ von Leonardo da Vinci (Abb. 7) könnten als erste Inspirationsquelle für Raffael gedient haben.[15] Beide Porträts weisen vor allem durch das angedeutete, leichte Lächeln und die Darstellung im Dreiviertelporträt eine Ähnlichkeit zur Fornarina auf. Das Porträt der „Monna Vanna“ war darüber hinaus vermutlich auch durch den entblößten Oberkörper eine Inspiration für Raffael.
Abb. 6: Nach Leonardo da Vinci (Andrea Salaj?): Monna Vanna, Öl / Lwd., St. Petersburg, Eremitage. © gemeinfrei. |
Abb. 7: Leonardo da Vinci: Mona Lisa,
1503-1506, Öl / Holz, Paris, Musée du
Louvre. © gemeinfrei.
|
Auch Giorgiones „Laura“ (Abb. 8) hätte als Inspiration für Raffael gedient haben können: das Bildnis, welches auch unter dem Namen „Porträt einer jungen Braut“ bekannt ist, zeigt hinter der Abgebildeten einen Lorbeerzweig, dieser und der Schleier verdeutlichen laut Lorenza Mochi Onori, dass es sich um ein Hochzeitsbild handele.[16]
Abb. 8: Giorgione: Laura, ca. 1506, Öl / Lwd., Wien, Kunsthistorisches Museum. © gemeinfrei. |
Zusammenfassend lassen sich die verschiedenen Deutungen und die Symbolik unter einem Gesichtspunkt zusammenfassen: sie drücken, wenn man so will, die Liebe und Zuneigung Raffaels gegenüber der Dargestellten aus, welche zumindest laut den aufgestellten Thesen so viel mehr für ihn war, als lediglich sein Modell oder seine inspirierende Muse.
Ob Raffael mit der Darstellung der Fornarina wirklich ein Hochzeitsbild oder im Allgemeinen seine Liebe zur Dargestellten ausdrücken wollte, wird wohl – so lange es keine neuen Quellen gibt – nicht vollends geklärt werden können. Daher wird das Rätsel rund um die vermeintliche Liebe zwischen Raffael und seiner Geliebten zumindest bis auf weiteres Bestand haben und all die aufgestellten Thesen bezüglich der Porträtierten nichts Anderes bleiben als reine Spekulation.
Jana Tempelmeier
[1] Giorgio Vasari, Le vite de' piu eccellenti pittori scultori e architettori. Band 3, Florenz 1568, S. 82 https://archive.org/details/levitedepiue03vasa1568/page/n5 [zuletzt aufgerufen: 28.02.2019].
[2] Vasari 1568, S. 78.
[3] Sabine Poeschel: Raffael und die Fornarina: Ein Bild wird Biographie. In: Udo Grote (Hrsg.): Westfalen und Italien. Petersberg 2002, S. 290.
[4] Ulrich Pfisterer: Raffaels Muse. Erotische Inspiration in der Renaissance. In: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Vol. 38, 2012 (2014), S. 66.
[5] Jürg Meyer zur Capellen: Raphael. A critical Catalogue of his Paintings. The Roman Portraits (ca. 1508-1520), Vol. 3, Landshut 2008, S. 146.
[6] Pfisterer 2012, S. 63.
[7] Lorenza Mochi Onori : Il restauro della Fornarina. Atti e studi / Accademia Raffaello, Nr. 0 (2002), S. 35.
[8] Pfisterer 2012, S. 67.
[9] Ebd.
[10] David Lung Clark: Raphael's Fornarina: Venus Pudica or Venus Aphrodisia? In: Konsthistorisk tidskrift/Journal of Art History Vol. 74, Nr. 4 (2005), S. 224-232.
[11] Poeschel 2002, S. 290.
[12] Ebd., S. 291.
[13] Pfisterer 2012, S. 68-69.
[14] Poeschel 2002, S. 291.
[15] Pfisterer 2012, S. 66-67.
[16] Mochi Onori 2002, S. 33.
Literatur:
Bernstein, Joanne G.: The Female Model and the Renaissance Nude: Dürer, Giorgione, and Raphael. In: Artibus et Historiae, Vol. 13, Nr. 26 (1992), S. 49-63.
Lung Clark, David: Raphael's Fornarina: Venus Pudica or Venus Aphrodisia? In: Konsthistorisk tidskrift/Journal of Art History Vol. 74, Nr. 4 (2005), S. 224-232.
Meyer zur Capellen, Jürg: Raphael. A critical Catalogue of his Paintings. The Roman Portraits (ca. 1508-1520), Vol. 3, Landshut 2008.
Mochi Onori, Lorenza (Hrsg.): Raffaello. La Fornarina. (Ausst.-Kat. Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica, 20.12.2000 bis 28.02.2001), Rom 2001.
Mochi Onori, Lorenza: Il restauro della Fornarina. Atti e studi / Accademia Raffaello, Nr. 0 (2002), S. 33-48.
Mochi Onori, Lorenza (Hrsg.): La Fornarina di Raffaello. Milano 2002.
Pfisterer, Ulrich: Raffaels Muse. Erotische Inspiration in der Renaissance. In: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Vol. 38, 2012 (2014), S. 62-83.
Poeschel, Sabine: Raffael und die Fornarina: Ein Bild wird Biographie. In: Udo Grote (Hrsg.): Westfalen und Italien. Petersberg 2002, S. 285-298.
Vanni, Ilaria: La bella Fornarina. In: MCM, Nr. 68 (2005), S. 57-58.
Vasari, Giorgio: Le vite de' piu eccellenti pittori scultori e architettori. Band 3, Florenz 1568.