Im Volksmund heißt es: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!“ – Doch was sagt es? Wären die Botschaften von Bildern tatsächlich so klar, wie behauptet wird, sollte es keine Probleme bereiten, beispielsweise antike Fresken zu verstehen. Doch stehen hier selbst Experten häufig vor unlösbar scheinenden Rätseln. Auch die jüngere Kunstgeschichte hält solche bereit.
So wird häufig die These genannt, das von Lucas Cranach d. Ä. um 1530 geschaffene Gemälde Das ungleiche Paar (Abb. 1), gehöre dem Sujet der ‚Buhlschaft‘ an, die sich ausdifferenzieren lässt in ‚Weibermacht‘ bzw. ‚Weiberlisten‘ und bzw. oder ‚Geldheirat‘ und ‚käufliche Liebe‘, bei dem närrische Greise sich von jungen Frauen oder närrische Greisinnen von jungen Männern Zuneigung vergelten lassen.[1] Nun zeigt das Bild zwar einen zahnlosen alten Mann, der eine attraktive junge Frau im Arm hält. Doch es enthält eben nicht ihren Griff in seinen Geldbeutel (Abb. 2) oder das Angebot eines Schmuckstücks für sie (Abb. 3), wie sie die Darstellungstradition kennt.[2]
Welche Schwierigkeiten müssen überwunden werden, um zu einer befriedigenden Interpretation von Das ungleiche Paar von Lucas Cranach d. Ä. zu gelangen?
Für die Beantwortung dieser Frage wird die Hypothese aufgestellt, dass eine Interpretation im Sinne des Sujetbereichs ‚käufliche Liebe‘ bzw. englisch „love for sale“ möglich ist, aber sich ihr Widerstände entgegenstellen, die identifiziert werden müssen, um geeignetere Argumente zu finden. Dabei wird die eher allegorische Betrachtung auf eine eher narrative alternierend umgedeutet.
Die Beantwortung der Frage ist in mehrere Schritte gegliedert. Auf diesen thematischen Prolog folgt ein Abriss der Genese des Sujets der ‚Buhlschaft‘ mit seinen Ausdifferenzierungen. In einem dritten Schritt soll der Versuch der Identifikation der Interpretationsschwierigkeiten anhand der Differenz zum Genrebild vollzogen werden, wie es Cranach in ganzen Bilderserien kultiviert haben, aber beginnend mit einer möglichst exakten Bildbeschreibung. Im vierten Schritt wird eine neu begründete Interpretation versucht, die sich aus den Ergebnissen der vorherigen Erkenntnisse ableitet und zu einer Schlussbetrachtung überführt.
1. Genese des Sujets ‚Buhlschaft‘
Das Sujet der ‚Buhlschaft‘ wurzelt in dem Motivbereich der ‚Weibermacht‘, ohne indes darin aufzugehen. Darüber hinaus stellt ‚Weibermacht‘ nur einen einseitigen Begriff dar, welcher nicht adäquat das Phänomen ausdrückt, welchen er bezeichnet. Ihm zur Seite gestellt werden müssen die ‚Weiberlisten‘. Damit sind unterschiedliche Perspektiven verbunden.
Mit dem Begriff der ‚Weibermacht‘ wird in Mittelalter und Renaissance der Einfluss in den Mittelpunkt gestellt, den Frauen aufgrund ihrer sinnlich-erotischen Ausstrahlung auf Männer besitzen.[5] Behandelt wird dies im Kontext der ‚Minne‘-Lehre als triumphale Überwältigung durch die Frau bzw. der durch sie verkörperten Liebe respektive Begehrens [6] vor allem aufgrund der Wahrnehmung durch das Auge.[7] Dieser Wirkung sollen sich Männer bewusst werden und im Sinne einer ‚reinen Minne‘ Strategien der Sublimierung des Begehrens und der Triebkontrolle entwickeln und befolgen, die in fleischlos-desinteressiertes Werben mündet.[8] Mit der Problematisierung der ‚Weiberlisten‘ rückt um 1500 die Frau als Subjekt in den Blick, aber in dem eher negativ konnotierten Sinne, dass sie sich ihrerseits Strategien bedient, der ‚Weiberlisten‘, um die ‚Weibermacht‘ zur Geltung zu bringen bzw. aus ihr Profit zu ziehen. Diese Wahrnehmung der Frau steht im Zeichen einer frauenfeindlichen Theologie [9] und einer kulturgeschichtlichen Abwertung der Minne zur so genannten „Buhlschaft“ [10] statt der „Macht der Liebe“.
Abb. 4: Titelseite (Ausschnitt) aus Sebastian Brants Narrenschyff von 1494. Quelle: Wikimedia Commons, Gemeinfrei, 22.06.2005. |
Abb. 5: Holzschnitt aus Sebastian Brants Narrenschyff von 1494, Thema: Liebes- narrheit: Cupido schießt blind, der Tod grüßt. Quelle: Wikimedia Commons, Gemeinfrei, 31.10.2005. |
Ausdrücklich wird in Sebastian Brants Narrenschiff von 1494 (Abb. 4) die ‚Buhlschaft‘ als von Frauen hervorgerufene Narretei der Männer ausgewiesen.[12] In einem Holzschnitt von 1530 (Abb. 5) wird ein Zusammenhang zwischen Liebesnarretei und Tod hergestellt, insofern letzterer aus der Gefangenschaft durch erstere verhelfen soll.[13] Dieser Zusammenhang wird auch für Das ungleiche Paar virulent, aber eben nicht unbedingt deutlich manifest. Cranach d. Ä. hat sich dem Motiv der ‚Buhlschaft‘ intensiv zugewandt. Es darf jedoch als sicher gelten, dass er es nicht in die Malerei eingeführt hat. Das ergibt sich aus der vermuteten Beeinflussung durch seinen italienischen Vorgänger als Hofmaler, Jacopo de’ Barbari (Abb. 6), mit Werken vom Anfang des 16. Jh. oder durch den Niederländer Quentin Massys (Abb. 7).[14] Letzterer gilt als durch Karikaturen Leonardo da Vincis (Abb. 8) inspiriert, was einen Hinweis auf den satirischen Charakter des Bildgenres gibt.[15] Diese Stoßrichtung sieht der Kunsthistoriker Peter Feist weniger gegeben, wenn er „realistische und in gewisser Hinsicht kritische Sittenbilder“ [16] in Cranachs ‚Buhlschafts‘-Bildern sieht.
Abb. 6: „Eine alte Frau reitet auf Triton“ von Jacopo de Barbari, zwischen 1480–1514, Kupferstich, H. 10,2 cm x B. 11,7 cm, British Museum, London. © British Museum. |
Abb. 7: „Das ungleiche Paar“ von Quentin Massys, zwischen 1520-1525, Öl / Lwd., 43,2 x 63 cm, National Gallery of Art in Washington DC. © National
Gallery of Art.
|
Der Typus der ‚Buhlschafts‘-Bilder zeichnet sich, wie bereits Eingangs festgestellt, durch die einheitliche Thematik käuflicher Liebe aus.[17] Gleichwohl wird insofern mit der volksliterarischen Linie gebrochen, als eben nicht nur der liebende Greis und die erkaufte Liebe des Mädchens, sondern auch die liebende Greisin und die erkaufte Liebe des Jünglings (Abb. 9) gezeigt werden.[18] Somit herrscht ein gewisser Ausgleich in der Disposition der Geschlechter zur Liebes-Narretei.
2. Identifikation der Interpretationsschwierigkeiten
2.1 Bildbeschreibung ‚Das ungleiche Paar‘
Das Gemälde Das ungleiche Paar (Abb. 1) wird in der Forschung auf 1530 datiert.[19] Bemalt worden ist eine Fläche aus Lindenhölzern im Umfang von 86,7 x 58,5 cm.[20] Es befindet sich heute unter der Interventarnummer ‚Gm 218‘ im Bestand des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg.
Zu ungefähr vier Fünftel ist der Hintergrund dunkel gehalten. Aber im Fünftel ganz rechts ist eine Fensteröffnung mit roter Fensterbank und einer Landschaft davor, die in einem Sonnengelb und in Grün gehalten ist. Ein ausgewachsener Baum und ein dünner Baum stehen am nächsten zum Fenster. Hinter den Bäumen schlängelt sich anscheinend ein Seeufer zu Felsen und einem Gebäude.
2.2 Interpretationsschwierigkeiten
Die Interpretationsschwierigkeiten ergeben sich aus dem Verzicht auf typische Bildmotive des Genres wie auch aus der Ubiquität einerseits und Ungewöhnlichkeit andererseits mancher Motive. So fehlt vor allem der Gelbeutel oder ein anderer Wertgegenstand, beispielsweise Schmuck, welcher der Liebespartnerin angeboten wird oder aus dem sich die Betreffende bedient, ohne dass es der närrische Greis oder die Greisin zu bemerken scheint. Unter diesem Gesichtspunkt räumt auch Kurt Löcher ein, dass „ihre unlauteren Absichten nicht in gleicher Weise deutlich werden“ wie in anderen Bildern des Meisters.[22] Als Hinweis auf die Thematik der ‚Buhlschaft‘ werten Kurt Löcher [23] und Sabine Lata [24] die närrische Erscheinungsweise des Mannes, erkennbar im zahnlosen, mundoffenen Lachen, und die Katzenaugenhaftigkeit der Frau, die für die beiden Interpreten auf Verschlagenheit hindeutet.
Des Weiteren erscheint die Kopfhaltung der Frau bemerkenswert. Ob der Blick wirklich nur als „beifallheischend“ gelten kann, wie Kurt Löcher behauptet, und den Betrachter zum „Mitwisser“ und „Komplizen“ macht, muss dahingestellt bleiben. Denn die Kopfhaltung kann auch einen Moment im Zuge trotzigen Nickens festhalten, mit dem man jemandem zu verstehen gibt, seinen Willen durchgesetzt zu haben. Damit müssen aber nicht unbedingt unlautere Absichten verbunden sein. Zudem müsste in Betracht gezogen werden, dass die Frau den Betrachter eben nicht frontal konfrontiert, sondern den Kopf etwas zur Seite und nach unten neigt, so dass der Blick auch ein wenig vorbeistreift und ungewiss ist. Auch damit vertragen sich unlautere Absichten nicht unbedingt.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass ein ungewöhnliches Motiv mit der Landschaft im Hintergrund vorliegt. Die ‚Buhlschafts‘-Bilder Cranachs d. Älteren pflegen einen einheitlichen dunklen Hintergrund aufzuweisen.[26] Dieses Prinzip wird im vorliegenden Bild auffällig durchbrochen.
3. Neu begründete Interpretation
Die hier kurz zu umreißende Neuinterpretation fußt darauf, das Bild weniger allegorisierend als vielmehr narratologisch zu lesen. Mit allegorisch ist gemeint, dass abstrakte Sinngehalte ausgedrückt werden.[27] Die ‚Buhlschafts‘-Bilder wären demnach Allegorien, also Sinnbilder, der käuflichen Liebe. Allegorien weisen oft bestimmte unerlässliche Eigenschaften auf, damit sie gedeutet werden, beispielsweise die verbundenen Augen der Justizia, um Gerechtigkeit ohne Beachtung des Ansehens der Person darzustellen. Eine narrative Bildbetrachtung hingegen sieht im Bild einen herausgehobenen Moment, der auf ein Vorher, ein Nachher und ein Gleichzeitiges verweist.[28] Dabei wird zwischen und in den Bildern mit Ellipsen gearbeitet, also mit Auslassungen. So konstatiert der Kunsthistoriker Kemp zu dieser Betrachtungsweise:
„Aus Gründen der Klarheit möchte ich hier - für die Bilderzählung - zwischen zwei Klassen von Leerstellen unterscheiden: zwischen inneren und äußeren. Die innere Leerstelle markiert eine bedeutsame Auslassung im bildinternen Kommunikationszusammenhang; die äußere will ich hier auch Ellipse nennen und verstehe darunter die besondere Art von Intervall zwischen zwei Bildern, die als Auslassung signifikant ist.“[29]
Die Ellipsen dienen also nicht zuletzt dazu, psychologische Zustände einzufangen.[30] Der Deutungsvorschlag besteht nun darin, das Bild als psychologisches Ausloten der ‚Buhlschaft‘ zu verstehen, und zwar im Sinne zweier verschiedener, aber miteinander verschränkter Zukunftsvisionen. Die eine Zukunftsvision ist die des Betrachters, womit keine bestimmte Person gemeint ist, sondern eher ein objektiver Standpunkt. Von diesem wird gleichsam hochgerechnet, was die Verbindung der beiden dargestellten Menschen zu bedeuten hat. Auffällig ist, dass der Reichtum des Mannes durch das Dunkel, in dem er eingehüllt ist, kaum erkennbar wird, trotz des Pelzbesatzes. Demgegenüber erscheint die Frau aufgrund ihrer Kleidung als reich, wie auch Kurt Löcher [31] sagt. Es wird mit dieser Gegenüberstellung die Ausbeutung des Mannes durch die Frau vorweggenommen. Das Mittel hierzu, die geschlechtliche Vereinigung, wird verdeckt durch eine Anspielung auf eine obszöne Geste gegeben. Der rechte Daumen des Mannes steckt zwischen den Fingern der linken Hand der Frau, Symbol einer Kopulation, bei dem der Finger des Mannes den Penis und die Finger der Frau, die zudem V-förmig gefaltet sind, die Vagina vertritt.
Die zweite Zukunftsvision ist der Frau zuzuordnen. Es handelt sich gleichsam um ihre ‚Hintergedanken‘. Die reich geschmückte Mütze auf ihrem Hinterkopf ragt in den Fensterbereich hinein, in dem sich der Mann und sie symbolisiert finden als alter und junger Baum in einer herrlichen Landschaft. Das Grün kann dabei für Fruchtbarkeit stehen, das Gelb für Gold bzw. Reichtum.
4. Schlussbetrachtung
Die gestellte Forschungsfrage kann dahingehend beantwortet werden, dass die Schwierigkeiten bei der Interpretation dem Spiel mit den Konventionen und Erwartungen des Betrachters entspringen, das vom psychologischen Gehalt des Bildes ablenkt. Dieser Darstellungsmodus ist weniger allegorischsatirisch als vielmehr narrativ umgesetzt. Zweifellos handelt es sich um ein ‚Buhlschafts‘-Bild, ja um eines, das bei genauerem Hinsehen‚ Weiberlist‘ drastisch-derb ausführt.
Die Beschränkung dieses Ergebnisses liegt darin, dass aufgrund des knappen Zeitraums lediglich ein Bild genau analysiert werden konnte. Doch dürfte es lohnend sein, mit dem ermittelten Ergebnis auch an die Analyse anderer ‚Buhlschafts‘-Bilder von Cranach d. Ä. heranzugehen und die gewonnene Deutung auf ihre Möglichkeit zur Verallgemeinerung hin zu prüfen und eventuell zu differenzieren. Dieser Beitrag möchte jedenfalls dazu anregen.
Literatur: