Peter Paul Rubens’ Gemälde Der Liebesgarten (Abb. 1) aus dem Jahr 1632 hat bis heute vielfach Eingang in die Forschung gefunden. Das großformatige Gemälde (198 x 283 cm), das sich im Museo del Prado in Spanien befindet, lässt sich zunächst in eine obere und eine untere Zone einteilen. In der unteren Zone, die gleichzeitig als Vordergrund der gesamten Komposition definiert werden kann, befinden sich ein gutes Dutzend zeitgenössisch gekleideter Damen, die sich auf einem Stück Rasen oder einer Art Terrasse niedergelassen haben. Links und rechts dieser Damen treten weitere Figuren – darunter auch Herren – hinzu. Diese Szenerie ist eingebettet in eine monumental-mythologische Grotten-Architektur, die den Mittelgrund und dem folgend die obere Hälfte des Werkes einnimmt. Hier befinden sich weitere Damen und Herren. Zusätzlich gibt der von Rubens angedeutete Hintergrund am rechten Bildrand den Blick auf eine weite Gartenlandschaft mit Pappeln frei. Sowohl zwischen den Personen in der unteren Zone, als auch im oberen Bereich des Gemäldes haben sich mythologische Figuren – kleine Amoretten – zwischen die irdische Gesellschaft gemischt. Diese schmiegen sich an die Frauen oder spielen in luftiger Höhe mit ihren Bögen.
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Abb.1: Peter Paul Rubens: Der Liebesgarten (Conversation
a la mode), 1630-1635, Öl auf Leinwand,
199 x 286 cm, Museo del Prado, Madrid. © gemeinfrei.
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Wenn man bedenkt, dass das hier vorliegende Werk im Jahr 1657 – demnach ein viertel Jahrhundert nach seiner Fertigstellung im Jahr 1632 – zunächst in einem Inventar als „Conversation à la mode“ (dt: Konversation von Jungfrauen) aufgeführt wurde [1], stellt sich in diesem Zusammenhang die eindringliche Frage, warum die vorliegende Darstellung im 18. Jahrhundert umbenannt wurde. Diese divergierenden Namensgebungen waren für Elise Goodman der entscheidende Grund, in ihrer 1992 erschienenen Publikation Rubens: The garden of love as Conversatie à la mode das Gemälde im Hinblick auf diese frühe Namensgebung zu untersuchen. Hierbei stellte sie die These auf, dass das Gemälde ausschließlich in Zusammenhang zu seiner Zeit und in einem größeren sozialen und kulturellen Rahmen gesehen werden müsse [2], sodass der Fokus, so Goodmann weiter, insbesondere auf die Unterhaltung der jungen Frauen innerhalb einer galanten Gesellschaft liege. Diese Konversation, so begründet Goodmann, stimme mit dem damals populärem Konzept, sich zu erholen und der Realität zu entfliehen, überein [3].
Nicht zuletzt wegen dieser vermeintlich vorsätzlich geänderten Namensgebung in Der Liebesgarten – der alte Titel, so steht es beispielsweise bei Jacob Burckhardt, soll nicht aussagekräftig genug gewesen sein [4] – lässt die Frage zu, warum eine Umbenennung überhaupt stattgefunden hat. Ferner stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, warum sich Rubens` Werk neben einer Konversation von Jungfrauen auch als ein Liebesgarten identifizieren lässt, sodass diese Namensgebung damals als geeigneter empfunden wurde. Die folgenden Ausführungen gliedern sich deshalb in drei Teile: Zunächst gilt es, einen kurzen Blick in die Bildtradition gemalter Gärten zu werfen. Hierbei wurde vor allem die 2008 veröffentlichte Publikation von Nils Büttner mit dem Titel Gemalte Gärten – Bilder aus zwei Jahrtausenden hinzugezogen. Im Anschluss steht das Gemälde Rubens` im Fokus der Untersuchung. Warum ist die Darstellung, die Rubens für „seinen“ Liebesgarten gewählt hat, so besonders im Vergleich zu bestehenden Traditionen? Welche der dargestellten Inhalte begründen die neue Namensgebung? Und abschließend: Lässt sich die vorliegende Arbeit von Rubens als eine Allegorie der Liebe identifizieren? Liegt folglich Liebe in der Luft?
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Abb. 2: Brüder von Limburg: Garten Eden,
um 1410/1416, Miniatur aus dem Stunden-
buch „Les très riches heures du Duc de Berry,
fol. 25V. (Scan aus: Nils
Büttner: Gemalte
Gärten – Bilder aus zwei Jahrtausenden,
München 2008, S. 37).
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Einer der ersten erwähnten Gärten, den Gott für den Menschen geschaffen hat – das Paradies – lässt sich in der Bibel finden. Nils Büttner bezeichnet dieses Motiv in seiner Publikation als „locus amoenus“ [5] – als einen lieblichen Ort – den man bereits in frühen bildlichen Darstellungen wieder findet. Als eines der wohl bekanntesten Beispiele in diesem Zusammenhang nennt er dabei die Darstellung eines Paradieses aus dem Stundenbuch Les trés riches heures des Jean de France, Herzog von Berry, aus dem Jahr 1416 [6]. Bei dieser Darstellung des Sündenfalls und der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies manifestiert sich die Vorstellung eines idealen Gartens, der in einer kreisrunden Form angelegt und von einer goldenen Mauer umgrenzt ist (Abb. 2).
Neben solchen transzendal-religiösen Motiven lassen sich im Verlauf des Hoch- und Spätmittelalters durch die ritterlich-höfische Gesellschaft weitere, durchaus profanere Verbildlichungen eines lieblichen Ortes finden. Auch hierzu nennt Büttner ein Beispiel, namentlich eine Abbildung eines Liebesgartens, die sich in einem um 1500 entstandenen Manuskript für den Roman De La Rose befindet [7] (Abb. 3). Im Gegensatz zum Paradies wird hier ein Garten geschildert, der von Bäumen beschattet wird und in dem es vor allem darum geht, gemeinsam mit seinem Liebespartner schöne Stunden zu verbringen. Es wird getanzt, musiziert, gegessen oder über die Liebe gesprochen.
Vergleicht man jedoch Rubens Werk mit dieser sehr knappen Beschreibung zweier Gärten und der Frage, ob sich seine Darstellung in die Tradition eines sakralen Paradiesgartens oder die eines profanen Ortes des Ausruhens und des Tanzes eingliedern lässt, so ist festzuhalten, dass dies nicht der Fall sein kann [8]. Auf Grund dieser Tatsache muss das Gemälde (Abb. 1) einer genaueren Analyse unterzogen werden. Wie bereits Eingangs erwähnt, kann die Arbeit in eine obere und eine untere Hälfte eingeteilt werden. Im Vordergrund und hier im Zentrum lassen sich vier Frauen identifizieren, die von Rubens kreisförmig platziert wurden. Jede von ihnen hat einen kleinen Amor – einen, aus der römischen Mythologie stammenden Liebesgott – zur Seite gestellt bekommen. Eine dieser Amoretten schmiegt sich besonders intensiv in den Schoß der Dame, die ein ockerfarbenes Kleid trägt. Diese schaut über ihre Schulter hinweg zu einer weiteren – in blau gekleideten – Dame, die noch zu zögern scheint. Rainer Liess deutet ihren Blick in seiner Publikation Die Kunst des Rubens dahingehend als wolle sie sagen „Faß` (sic!) ihn nur an […] er ist wirklich da, du wirst es schon fühlen.“ [9]
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Abb. 3: Guillaume de Lorris und Jean de Meung: Liebes-
garten, um 1490/1500, Miniatur aus dem „Roman de la
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Links neben dieser Szenerie sitzt eine weitere Dame, die den Betrachter eindringlich anschaut. Auch sie hat einen kleinen Amor an ihrer Seite, der in seiner Hand einen kleinen Liebespfeil hält und nicht zu zögern scheint, diesen bei passender Gelegenheit anzuwenden. Was die Liebesgötter im Stande sind zu erreichen, konkretisiert sich in der vierten Dame dieses Kreises: Hingebungsvoll schaut sie nach oben, ihren Körper dabei völlig entspannend. Der kleine Liebesgott neben ihr sieht, was er erreicht hat, und wirkt dabei freudig und erstaunt zugleich. Hierbei ist zu erwähnen, dass einige Forschungsergebnisse diese Frau als die Hauptfigur des Gemäldes beurteilen, da sie den Höhepunkt der zuvor beschriebenen Taten der kleinen Amoretten verkörpert [10].
Wird der Blick der zuletzt erwähnten Dame nach oben verfolgt, lassen sich neben den bereits erwähnten Amoretten weitere Anspielungen auf die Liebe erkennen, die Rubens in sein Gemälde gesetzt hat. Über den drei Frauen schwebt ein weiterer geflügelter Amor, der einen Kranz und eine Fackel in seinen Händen hält [11]. Das Licht der Fackel beleuchtet unterdessen eine sich im Hintergrund befindliche Skulptur, die die drei Grazien [12] darstellt. Neben dieser Brunnenfigur lassen sich weitere antik-mythologische Symbole der Liebe finden: Rechts neben der erwähnten Skulptur lässt sich eine Brunnenfigur als Venus [13] identifizieren. Sie sitzt auf einem Delphin, der Wasser aus seinem Mund speit. Auch sie presst zwei Wasserstrahlen aus ihren Brüsten, sodass sie, glauben wir Liess, neben der Liebesspenderin auch als Lebensspenderin angesehen werden kann [14]. Ebenso kann der Pfau neben ihr einer weiteren römischen Göttin zugeordnet werden: Juno. Sie ist im Vergleich zur Göttin Venus nicht die Göttin der Liebe, allerdings die der Ehe und Fürsorge [15]. Ihr lassen sich in diesem Sinne auch die beiden Tauben am oberen linken Bildrand beiordnen, die in diesem Augenblick durch einen weiteren Amor von ihrem Joch gelöst werden, sodass sie nach Liess auf die „Allmacht der Liebe“ [16] hindeuten können. Hinter dem Amor, der die Tauben löst, ist außerdem ein weiterer geflügelter Liebesgott auszumachen, der in seiner Hand ebenfalls einen Liebespfeil hält, und in freudiger Erwartung auf die sich in der Mitte befindenden Frauen schaut.
Unterhalb dieser Gruppe von Amoretten und Tauben befindet sich, im Gegensatz zu den sitzenden Frauen in der Mitte, ein stehendes Pärchen. Der Herr umarmt seine Dame an ihren Hüften und ihrem Oberarm. Der Gesamteindruck wirkt eher zögernd als zielstrebig. Der Blick des Herrn ist fragend, ganz so, als warte er auf eine Antwort seiner Dame, endlich in den Kreis der bereits sitzenden Gesellschaft einzutreten. Er bekommt jedoch Unterstützung in seinem Werben: Der kleine Amor am Po der Dame weiß ganz genau, was er will, denn er versucht energisch sie zu den anderen Damen, die die Vorzüge der kleinen Liebesgötter bereits zu schätzen wissen, zu schieben.
Von Rubens gespiegelt lässt sich ein weiteres stehendes Paar auf der rechten Bildhälfte des Gemäldes finden. Dieses Paar ist im Gegensatz zu dem eben beschriebenen ganz und gar nicht zögernd. Es tritt nacheinander zielstrebig auf die bereits sitzende Gesellschaft junger Damen zu, sodass es scheint, als würden beide wissen, welche Annehmlichkeiten auf sie zukommen [17]. Wandert der Blick dem folgend über die entschlossen eintretende Frau ein Stück nach oben in Richtung des Venus-Brunnens, lässt sich auch hier ein weiterer Amor identifizieren, der just in dem Augenblick des Eintretens des Paares einen seiner Liebespfeile abschießt.
Werden abschließend diese komprimierten Beobachtungen im Hinblick auf die eingangs aufgeworfenen Fragen, warum Rubens’ Liebesgarten im Vergleich zu den aufgeführten bestehenden Traditionen von Gärten so besonders ist, sodass hierdurch die geänderte Namensgebung begründet werden kann und ob sich dem anschließend das Werk als eine Allegorie der Liebe identifizieren lässt, zusammengefasst, lässt sich Folgendes festhalten: Unter einer zeitgenössischen Gesellschaft haben sich zahlreiche mythologische Figuren gemischt. Allen voran die kleinen geflügelten Liebesgötter, die somit als Stellvertreter der Verliebtheit gedeutet werden können.
Zusätzlich hierzu lassen sich die Venus-Statue, die drei Grazien, der Pfau und die antike Architektur, in die das Geschehen eingebettet ist, herausstellen. Diese vielzähligen mythologischen Aspekte greifen das am Anfang erwähnte sakrale Beispiel eines Paradieses oder die späteren profanen Darstellungen eines Liebesgartens nicht auf. Eindeutig lässt sich festhalten, dass die Damen, die sich bereits mit den kleinen Amoretten im Zentrum des Gemäldes vergnügen, dessen Mittelpunkt ausmachen und somit als eine Allegorie für die Liebe und den Liebesgarten zu deuten sind. Glauben wir dies, sind sie es, die die anderen – stehenden – Figuren und die weiteren zahlreichen Amoretten wie ein Magnet anziehen. Dem folgend stellt Rubens hier weder einen Liebesgarten an sich dar, sondern er verflechtet antik-mythologische Symbolik mit scheinbar real gewordenen kleinen Liebesgöttern, die sich unter die zeitgenössische Gesellschaft gemischt haben. Durch diese festgehaltenen Beobachtungen lässt sich abschließend die gesamte Szenerie als eine Allegorie der Liebe bewerten, die die geänderte Namensgebung in Der Liebesgarten begründen kann.
Patricia Zühlke
[1] Vgl. Burckhardt, S. 119. Bei ihm ist zu lesen, dass der alte Titel nicht aussagekräftig genug gewesen sei, allerdings geht er nicht weiter darauf ein.
[2] Goodmann, S. 2.
[3] Ebd. S. 5.
[4] Vgl. Burckhard, S. 119. Wie bereits unter Fußnote 1 erwähnt, geht er allerdings nicht weiter auf diese Aussage ein oder belegt sie mit einer Quellenangabe.
[5] Büttner, S. 36.
[6] Vgl. Büttner, S. 36. Jean de France besaß fünfzehn solcher Stundenbücher, das kostbare Le trés riches heures ist das Bekannteste unter ihnen.
[7] Vgl. Büttner, S. 32.
[8] Gustav Glück nennt hier lediglich einen einzigen Vergleich, der als Vorbild für Rubens gedient haben könnte, namentlich einen kleinen Kupferstich der `Meister der Liebesgärten´ aus dem burgundischen Kreis. Ob Rubens diesen jedoch kannte, bleibt zweifelhaft. Glück, S. 49f.
[9] Liess, S. 401.
[10] Vgl. Liess, S. 402. Siehe auch Glück, S. 68.
[11] Laut Liess handelt es sich hierbei um den Kranz der Liebesverzauberung. Liess, S. 404.
[12] In der römischen Mythologie die drei Grazien genannt, gelten sie als Sinnbild jugendlicher Anmut und Lebensfreude. Mehr dazu siehe Patz, Kristine, in: Der neue Pauly online, https://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/drei-grazien-rwg-e1309270?s.num=0&s.f.s2_parent=s.f.book.der-neue-pauly&s.q=die+drei+grazien (zuletzt aufgerufen: 27.02.2019). Hans Evers verbindet diese Skulptur mit den sitzenden Frauen und sieht in ihnen eine Personifizierung dessen. Vgl. hierzu Liess, S. 403. Siehe auch Evers, S. 342.
[13] In der römischen Mythologie Venus genannt, gilt sie als Göttin der Liebe und des erotischen Verlangens. Mehr dazu siehe Rives, James, in: Der neue Pauly online, https://referenceworks.brillonline.com/entries/brill-s-new-pauly/venus-e12200430?s.num=0&s.rows=20&s.f.s2_parent=s.f.book.brill-s-new-pauly&s.q=venus (zuletzt aufgerufen: 27.02.2019).
[14] Vgl. Liess, S. 407.
[15] Vgl. Ebd. S. 407.
[16] Liess, S. 407.
[17] Vgl. Liess, S. 406.
Literatur:
Ausst. Kat: Peter Paul Rubens – barocke Leidenschaften, Herzog-Anton-Ulrich Museum, Braunschweig. München 2004.
Borchert, Till-Holger: Meisterhaft, altniederländische Malerei aus nächster Nähe, München 2014.
Burckhardt Jacob; Struchholz, Edith (Hrsg.): Erinnerungen aus Rubens, München 2006.
Burchhard, Ludwig: The Garden of Love, in: The Burlington Magazine, Vol. 105, Nr. 727 (Oktober 1963), 1963, S. 428-432.
Büttner, Nils: Gemalte Gärten – Bilder aus zwei Jahrtausenden, München 2008.
Evers, Hans-Gerhard: Rubens, München 1942.
Glang-Süberkrüb, Annegret: Der Liebesgarten – eine Untersuchung über die Bedeutung der Konfiguration für das Bildthema im Spätwerk des Peter Paul Rubens, in Kieler kunsthistorische Studien, Bern 1974.
Glück, Gustav: Rubens’ Liebesgarten, Wien 1920.
Goodman, Elise: Rubens, The garden of love as Conversatie à la mode, Amsterdam 1992.
Held, Julius Samuel: Rubens – selected drawings, Bd. 1-2, London 1959.